Mein psychotherapeutisches Verständnis

In der Beantwortung der Frage, welche Behandlungsmethode (Tiefenpsychologie oder Verhaltenstherapie)  für welchen Patienten die richtige ist, lässt sich folgendes sagen: mittlerweile ist durch wissenschaftliche Untersuchungen  bzw.  Psychotherapieforschung belegt, dass der Therapierichtung nicht so große Bedeutung für den Behandlungserfolg zukommt wie der sog. ´therapeutischen Beziehung´,  d.h. des komplexen Zusammenspiels zwischen Therapeuten und Patienten (!). (Was auch einschließt, dass die vielzitierte Chemie stimmen sollte). Insofern lassen sich eindeutige Zuordnungen hier nur selten treffen. Vereinfacht gilt die Grundregel, dass die Therapieform umso unstrukturierter sein kann, je strukturierter der Mensch mit seinen Problemen ist; Menschen mit stark ausgeprägten strukturellen (Persönlichkeits-) Problemen benötigen mehr Struktur von außen.

Ich selbst bin  im Rahmen meiner Facharztausbildung nach der Methode der  tiefenpsychologisch fundierten  Psychotherapie ausgebildet worden, die somit die  Grundlage meiner Tätigkeit darstellt. Ich lasse jedoch hilfreiche  Elemente aus  anderen Therapierichtungen einfließen, wenn dies sinnvoll erscheint, so z.B. aus der kognitiv-behavioralen Verhaltenstherapie, die unter anderem viel  Wert auf das Verstehen sogenannter ´dysfunktionaler Gedanken´ legt, aus der systemischen Paar- und Familientherapie, welche den familiären Kontext der Patienten in den Blick nimmt, usw.

Gesondert erwähnen möchte ich an dieser Stelle das sog. EMDR (´Eye Movement Desensitization and Reprocessing´). Hierbei handelt es sich um eine äußerst hilfreiche und effektive,  wissenschaftlich anerkannte und  erstattungsfähige  traumaspezifische Therapiemethode, die unabhängig von der therapeutischen Grundrichtung erlernt und ausgeübt werden kann, also sowohl von ´Tiefenpsychologen´ als auch von ´Verhaltenstherapeuten´. Die Ausbildung zur EMDR-Therapeutin habe ich im November 2013 erfolgreich abgeschlossen, so dass ich auch diese in der Praxis anbieten kann.

Meine persönliche Meinung ist, dass der sogenannte ´Schulenstreit´,  d. h. die dogmatische Frage danach, welche Methode denn nun die beste ist, in nicht allzu ferner Zukunft überwunden sein wird. Im Grunde ist es so, dass sich die meisten Psychotherapeuten auch heute schon sehr darum bemühen, über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen, integrativ zu arbeiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass entsprechende Ansätze bereits in der Psychotherapieforschung und -weiterbildung diskutiert werden.

Von zentraler Bedeutung ist mir die Einnahme einer grundsätzlich humanistischen, d.h. menschenfreundlichen Haltung und Sichtweise. Ich bin überzeugt davon, dass man grundsätzlich – abgesehen von schwersten Pathologien- jederman entweder durch eine Brille des Wohlwollens oder auch durch eine pathologisierende Brille betrachten kann – die Entscheidung darüber, welche Brille ich mir anziehe, ist mir oftmals nicht bewusst. In der bewussten Entscheidung für die wohlwollende Brille kann es mir gelingen, auf die oftmals verborgenen Ressourcen und Kraftquellen des Patienten zu schauen, die es zu stärken, kräftigen und auszubauen gilt. Dies trifft sich mit dem Grundgedanken der sog. ´Positiven Psychologie´ (siehe auch Martin Seligman, *1942) bzw. der Resilienz- und Glücksforschung, die allerdings keinesfalls mit dem sog. ´Positiven Denken´ verwechselt werden darf. Letztere blendet unter Missachtung der Gesetzmäßigkeiten des Lebens die sogenannten Negativen Dinge einfach aus, die dadurch jedoch verdrängt werden müssen, d.h. dem Unbewussten anheim fallen, wo sie, da unbewusst, großen Schaden anrichten können. Diese vermeintlich negativen Dinge oder Gefühle haben  jedoch genauso eine ´Daseinsberechtigung´ wie die vermeintlich Positiven, ja, mehr noch, sie gehören zusammen; ohne das eine kann es das andere gar nicht geben. Hier gilt es, eine akzeptierende Grundhaltung zu entwickeln bzw. zu lernen, mit den sog. Negativen Gefühlen umzugehen; die Dinge an sich sind nicht gut oder schlecht, sondern werden das erst durch unsere Zuschreibung. ´Nur die Gegensätze lehren einen die Welt kennen: Wer nicht um das Dunkel weiß, kann das Licht nicht erkennen´ (Aus Japan).

In der Entwicklung meines psychotherapeutischen Verständnisses bin ich von einer Vielzahl von großen Persönlichkeiten, vor allem Ärzten, Psychologen, Soziologen und Philosophen beeinflusst worden, die ich nachfolgend aufzählen werde:

  1. Viktor Frankl (Dr.), 1905-1997, österreichischer Jude, Nervenarzt, Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, ´Dritte Wiener Schule für Psychotherapie´: Frankl setzte sich auf Grund und infolge seiner im KZ gemachten Erfahrungen intensiv mit dem Leiden an sich auseinander und postulierte den für mich sehr maßgeblichen Satz ´Der Mensch ist nicht auf Glück, sondern auf Sinn angelegt´.  Er beobachtete, dass der Mensch alles ertragen kann, wenn ihm eine dahinter liegende Sinnhaftigkeit bewusst ist bzw. er trotz erlittenen Leids einen Sinn in dem sehen kann, was ist. Er war somit gleichsam ein Vorläufer von
  2. Aaron Antonovsky, 1923-1994, US-amerikanischer Soziologe, Begründer  der ´Salutogenese´, d.h. dem Gegenstück der Pathogenese (die nach dem schaut, was uns krank macht), die untersucht, welche Faktoren uns widerstandsfähig (resilient) gegen Leid machen; er postuliert ein sog. ´Kohärenzgefühl´, das sich auf den Ebenen Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit manifestiert. Die Resilienzforschung hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erlitten; diese setzt sich damit auseinander, welchen Menschen es unter welchen Umständen gelingt, Widerstände und Widrigkeiten zu überwinden. Letztlich ist diese Frage noch nicht geklärt; es fällt immer wieder auf, dass vielen unter  schwierigsten Bedingungen aufgewachsene Menschen ´das Leben gelingt´, andere trotz guter Startvoraussetzungen enorme Schwierigkeiten haben, im Leben zu bestehen. Aktuell besteht Konsens darüber, dass zur Bewältigung von Krisensituationen und Entwicklungsaufgaben folgende Kompetenzen besonders relevant sind: angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung, positive Selbstwirksamkeitserwartung, soziale Kompetenz, Selbstregulations/-steuerungsfähigkeit, Problemlösefähigkeiten, Stressbewältigungskompetenzen.- Für mich nimmt die Inaugenscheinnahme der Resilienzfaktoren und deren gezielte Förderung / Ressourcenaktivierung einen immer höheren Stellenwert ein. Dies leitet über zu
  3. Maja Storch, *1958, Psychologin und Psychoanalytikerin in der Schweiz, die das ´Zürcher Ressourcen Modell ZRM´ entwickelt hat und  wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISMZ) ist. In ihren zahlreichen Veröffentlichungen, Büchern und workshops zielt sie immer wieder auf die Selbstentwicklungsfähig- und -fertigkeiten jedes Einzelnen ab, die es durch gezielte Ressourcenaktivierung zu fördern gilt.
  4. Irvin Yalom (Prof.), *1931, amerikanischer Jude, Psychiater, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Schriftsteller; auch er beschäftigt sich mit den großen existentiellen Fragen des Menschseins und gilt als einer der  einflussreichsten Psychoanalytiker der USA. Er hat die Psychoanalyse als wirksame und zeitgemäße Methode zum tiefen Verständnis menschlichen Leids und zu seiner psychotherapeutischen Behandlung gefördert. Sein besonderes Verdienst gilt der Tatsache, dass er durch seine überaus erfolgreichen Romane in der Lage war / ist, dies einem breiten Publikum auch außerhalb der Fachkreise nahezubringen.
  5. Marshall B. Rosenberg, 1934-2015, amerikanischer Jude, Psychologe, Begründer des Kommunikationsmodells ´Gewaltfreie Kommunikation´ (GFK), engl. Nonviolent communication (NVC), weltbekannter Mediator auch in schwierigsten politischen Prozessen, stark beeinflusst vom bedeutendsten Vertreter der humanistischen Psychologen Carl Rogers; er postuliert, dass echter empathischer Kontakt die wesentliche Grundlage für gelungene kommunikative Prozesse und dauerhafte friedliche Beziehungen ist, insofern zur Verbesserung des zwischenmenschlichen Miteinanders maßgeblich beitragen kann. Überschneidungen mit der Psychotherapie gibt es insofern, als dass der echte empathische Kontakt zu sich selbst, d.h. die Fähigkeit, Verständnis für sich selbst aufzubringen, einhergeht mit Selbsterkenntnis/ gebesserter Selbstwahrnehmung, was eine Grundlage für gelingende psychotherapeutische Prozesse darstellt. Die sog. ´bewertungsfreie Wahrnehmung´, d.h. die Wahrnehmung von Denk- und Handlungsweisen sowie Gefühlsäußerungen ohne eine gleichsam reflektorische diagnostische Zuordnung bzw. ´Einsortierung´ i.S. eines Schubladendenkens ist hierbei von allergrößter Bedeutung.
  6. Jürgen Stepien (Dr.), 1959-2023, zeitgenössischer (Tiefen)- Psychologe, Psychotherapeut und Psychoonkologe, ehem. leitender Psychologe der onkologischen Paracelsus-Reha-Klinik in Scheidegg; er hat eine unglaubliche Vielzahl an äußerst anregenden, höchst interessanten, von großem Fachwissen zeugenden Vorträgen gehalten, die auf CD erhältlich sind; ich habe jede einzelne von ihnen, mein gedanklicher Horizont hat sich durch diese definitiv erweitert, was mir in meiner therapeutischen Arbeit sehr weitergeholfen hat bzw. – hilft. Besonders eingeprägt hat sich der Begriff vom ´Schöpfer´ des Schicksals (im Gegensatz zum Opfer), womit sich der Kreis zu Maja Storch wieder schließt.
  7. Melody Beattie, * 1948, amerikanische Autorin, (Mit-)Begründerin des Modells der sog. ´Co-Abhängigkeit´; bei schwierigen (Trennungs- und Missbrauchs-)erfahrungen wurde sie drogenabhängig und befreite sich daraus, indem sie eben diese Erfahrungen verarbeitete und o.g. Modell entwarf; dessen Kernstück besteht darin, dass wir unser Handeln nicht primär an den Bedürfnissen Anderer (z.B. denen suchtkranker Angehöriger) ausrichten, sondern an uns; nicht, weil wir zu Egoisten mutieren sollen, sondern weil wir auch uns selbst gegenüber eine Verpflichtung haben und nur gut für Andere da sein können, wenn wir gut zu uns selbst sind. Dieses ´Modell´ kommt meiner Erfahrung nach sehr häufig zur Anwendung, nicht nur bei Menschen, die direkt mit drogen- bzw. alkoholkranken Menschen zusammen leben. Auch im Rahmen des sog. 12-Schritte-Programms kommt auch hier der bekannte ´Gelassenheitsspruch´ zum Einsatz: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden; dieser Aphorismus findet sich im Zentrum meiner Einstellung nicht nur zur therapeutischen Arbeit, sondern auch zu meinem persönlichen Leben. Womit der Kreis geschlossen wäre.
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